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Schön reingegrätscht

„Lass den Willi doch mal ausreden!“ Selbstverständlich. Alles andere wäre ja auch ein Ding der Unhöflichkeit. Aber ist das wirklich so?

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– Sprachlabor –
14. Februar 2019
Schön reingegrätscht
„Lass den Willi doch mal ausreden!“ Selbstverständlich. Alles andere wäre ja auch ein Ding der Unhöflichkeit. Aber ist das wirklich so?

Ob als „Opfer“ oder „Täter“ – jeder von uns wird es in einer Konversation bereits erlebt haben: das Unterbrechen. Dabei gilt es doch landauf, landab als unhöflich, eine andere Person nicht ausreden zu lassen. Hierfür gilt auch Sprache als Indiz, denn diese Unhöflichkeit spiegelt sich auch in den Synonymen für Unterbrechen wider: „jemandem das Wort abschneiden“, „jemandem reingrätschen“, „über den Mund fahren“ oder „jemandem ins Wort fallen“.

Und trotzdem scheint es Menschen zu geben, die auffällig häufiger als andere zum Unterbrechen neigen. Handelt es sich hier einfach um besonders rüpelhafte Gesprächsteilnehmer? Oder sieht es umgekehrt aus und sind diejenigen, die sich vehement daran stören, wenn sie unterbrochen werden, das eigentliche Problem?

Nun, die aktuelle Kommunikationswissenschaft sagt klar: weder noch. Puh. Nach einem kollektiven, erleichterten Aufatmen wollen wir dieses „Unterbrechen“ mal genauer unter die Lupe nehmen.

Grundsätzlich hat jeder Mensch seinen eigenen Konversationsstil und eine gänzlich unterschiedliche Vorstellung davon, was eine gute Unterhaltung ausmacht. Dieser Stil ist ausschlaggebend dafür, ob wir Gesprächsteile, die sich überlappen, als „unterbrechend“ oder als „konstruktiv für die Kommunikation“ wahrnehmen.

Bildet man diese gegensätzlichen Wahrnehmungen auf einer Skala ab, ergeben sich an ihren jeweiligen Enden zwei Extremtypen der Konversation: Auf der einen Seite stehen die „Vielredner“ (high intensity speakers), auf der anderen die „Wenigredner“ (low intensity speakers). Schauen wir uns Erstere an: Vielredner nehmen stumme Pausen in einer Konversation als unangenehm wahr.  Sie sehen daher gleichzeitiges Reden als konstruktiven Beitrag an, solange die Sprecher einander zustimmen und es keinen abrupten Themenwechsel gibt. Wir merken uns: Unterbrechen ist also für einige Menschen nicht per se schlecht, sondern es kommt vielmehr auf das „wie“ an.

Ganz anders die Extremgruppe der Wenigredner. Für sie ist gleichzeitiges Reden schlicht und einfach unhöflich – gleiches Thema und gleiche Meinung sind dabei völlig uninteressant. Sie fühlen sich nur dann wohl, wenn Konversation nacheinander abläuft. Stille Momente werden dabei überhaupt nicht als störend empfunden.

Und doch sind sich beide Extremtypen in einem Punkt am Ende einig: Jemanden zu unterbrechen und dabei das Thema zu wechseln oder dabei die Stimme zu erheben, bewerten tatsächlich beide Gruppen als unhöflich. Wie Menschen es empfinden, wenn sie unterbrochen werden, kommt also nicht nur auf den individuellen Konversationstyp, sondern auch auf die Art des Unterbrechens an.

Diese Erkenntnis macht ein klares Fazit oder ein konkretes „Wissen to go“ nicht unbedingt leicht. Halten wir also zuerst einmal fest: Ob als Kommunikationsschaffende oder als Privatpersonen – im Normalfall wollen wir innerhalb einer Konversation, dass sich unser Gegenüber wohlfühlt. Nun wissen wir allerdings: Unterbrechen ist nicht gleich Unterbrechen. Konstruktives Unterbrechen stellt für den einen ein Affront dar, für den anderen wird es als wichtiger Beitrag angesehen, das Gespräch mitzugestalten. Daraus schließen wir: Wenn man selbst eher zur Gruppe der „Vielredner“ gehört, sollte man einen eher zurückhaltenden Menschen in Ruhe ausreden lassen und auch mal Pausen im Gespräch zulassen. Umgekehrt sollte jemand, der sich den „Wenigrednern“ zugehörig fühlt, es nicht gleich als unhöflich ansehen, wenn die andere Person immer mal wieder in das eigene Sprechen „hineinredet“.

Schwierig oder – optimistisch ausgedrückt – interessant wird es natürlich, wenn man es innerhalb derselben Konversationssituation mit gegensätzlichen Extrem-Typen zu tun hat. Denn rein theoretisch müsste sich in dieser Situation stets eine der beiden Personen wohler fühlen als die andere. Was tun, wenn wir das verhindern wollen? Wir denken, die Lösung ist wie so oft eine goldene: Wenn wir eine solche Situation erkennen, sollten wir gezielt den Mittelweg suchen und als Vermittler wirken. Mit dem Ziel, in solchen Momenten gern den statistischen Durchschnitt der Konversations-Typologie anzusteuern.

Quelle: stanford.edu
 

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