Über Stimmen

Sprachassistenten, Hörbücher, Nachrichten – wir sind umgeben von professionellen Sprech-Stimmen. Auch wir arbeiten oft mit professionellen Sprechern zusammen. Doch was macht eine gute Stimme aus? Wir haben uns mit einem Profi unterhalten.

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– Sprachlabor –
26.03.2020
Über Stimmen
Sprachassistenten, Hörbücher, Nachrichten – wir sind umgeben von professionellen Sprech-Stimmen. Auch wir arbeiten oft mit professionellen Sprechern zusammen. Doch was macht eine gute Stimme aus? Wir haben uns mit einem Profi unterhalten.

Dank diverser Medien haben es mittlerweile manche Stimmen ganz locker in unseren Alltag geschafft: Sie lesen uns beim Kochen das Rezept vor, navigieren uns zum Treffpunkt mit unserem Date oder schlagen uns neue Songs zum Reinhören vor. Und gemeinsam haben diese Stimmen meistens: Sie sind für uns alle irgendwie angenehm! Und das, obwohl die Geschmäcker ja bekanntlich verschieden sind. Es scheint also gewisse Parameter zu geben, die eine „gute“ Stimme ausmachen. Macht der Ton hier die Musik? Wir haben uns an die Schnittstelle zwischen audiovisuellen Medien und Stimmeinsatz begeben und den Profi gefragt: Wann ist eine Stimme gut?

Raymond Gress arbeitet im Tonstudio Gress in Stuttgart. Er und seine Kollegen beschäftigen sich mit der Vertonung von Medien. Zum Beispiel Filme und Serien, aber auch Museumsausstellungen, Messeinstallationen, Industrie- und Imagefilme oder auch E-Learnings werden hier vertont. Herr Gress, der nicht nur Toningenieur, sondern auch erfahrener Musiker und Komponist ist, hört bei Aufnahmen von Stimmen natürlich besonders gut hin.

Weiterdenken: Herr Gress, wenn sich jemand mit der Stimme auskennt, dann Sie. Als Toningenieur arbeiten Sie tagtäglich mit verschiedensten Stimmexemplaren und Spracherzeugnissen. Welche Aspekte der Stimme sind in Ihrem Berufsalltag besonders relevant?

Gress: Ganz wichtig ist erst mal, dass die Sprecher, mit denen wir arbeiten, akzentfrei sprechen. Egal welche Sprache, es sollte eine hochreine Sprache sein. Die Sprecher müssen professionell artikulieren können. Das heißt: kein Nuscheln oder dergleichen. Für die professionelle Arbeit im Studio ist es außerdem wichtig, dass die Sprecher geschult und erfahren sind im Umgang mit Aufnahmetechnik, zum Beispiel dem Umgang mit dem Mikrofon. Ein guter Sprecher weiß, dass er sich bei Plosivlauten wie „P“ und „T“ etwas vom Mikrofon wegdreht. Ein anderer wichtiger Aspekt ist natürlich der Klang der Stimme. Für mich ist hier eigentlich das Wichtigste an einer Stimme, dass sie glaubwürdig ist und natürlich klingt.

Weiterdenken: Was macht denn eine Stimme glaubwürdig und natürlich?

Gress: Das ist schwierig. Der Punkt Glaubwürdigkeit ist für mich tatsächlich ein Stück „Bauchgeschichte“. Es gelten zwar auch die Kriterien, die ich eingangs aufgezählt habe. Die müssen einfach zunächst mal objektiv erfüllt sein. Genau das ist dann aber manchmal auch der Punkt, an dem ein Sprecher seine Natürlichkeit verlieren kann – wenn man zum Beispiel zu sehr merkt, wie er besonders deutlich artikuliert. Andere wiederum sprechen wahnsinnig rein und artikulieren alles wunderschön – jeder Laut kommt zum Tragen, keine Endung ist vernuschelt – und es klingt trotzdem wie aus dem Leben gesprochen.

Weiterdenken: Macht es insbesondere bei solchen Sprechern einen Unterschied, ob sie zum Beispiel gerade mit Ihnen am Telefon sprechen oder ob sie in der Aufnahme sind?  Klingen die immer gleich?

Gress: Nein, das ist nicht immer gleich. Da erlebe ich ganz interessante Unterschiede. Es gibt Sprecher, mit denen spricht man am Telefon und man denkt sich: „Ne, das ist doch nie im Leben ein Sprecher“. Die reden dann mit schwäbischem Dialekt oder mit Berliner Schnauze oder sonst was – aber wenn sie am Mikrofon sitzen, ist es eine völlige Verwandlung. Die haben ihre Stimme total im Griff. Und das ist super! Dann gibt’s wiederum Sprecher, die klingen immer gleich. Am Telefon wie am Mikrofon.

Weiterdenken: Denken Sie, dass ein Großteil der schon genannten eher objektiven Skills erlernbar oder einfach Anlage beziehungsweise Talent ist?

Gress: Ich bin mir ganz sicher, dass man nicht einfach ein guter, professioneller Sprecher werden kann, einfach weil man es so will und es dann halt lernt. Es gibt durchaus viele, die haben großes Talent und wunderschöne Stimmen, sind aber keine guten Sprecher. Ganz einfach, weil Grundlagen fehlen, die man erlernen kann. Eine deutliche Aussprache oder auch Akzentfreiheit. Aber es ist eben nicht alles erlernbar. Talent gehört auch dazu. Und natürlich der Klang der Stimme. Der wiederum ist nur innerhalb gewisser Grenzen beeinflussbar, auch wenn man da viel über Stimmbildung machen kann.

Weiterdenken: Apropos „Klang der Stimme“: Haben Sie eine Einschätzung, wovon es abhängt, dass wir den Klang mancher Stimmen als angenehm empfinden und bei manchen Stimmen wiederum gar nicht?

Gress: Im Allgemeinen ist es nicht so beliebt, wenn eine Stimme eher dünn oder piepsig klingt, einen seltsamen Akzent hat oder verschnupft klingt. Meine eigene Stimme zum Beispiel klingt immer recht nasal. Dagegen werden volle, warme Stimmen immer sehr gerne gehört – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Als sehr schön empfunden wird es auch, wenn der Obertonreichtum gegeben ist: Wenn eine Stimme trotz ihrer Fülle und Wärme Brillanz hat, wenn man die Stimmbänder schwingen hört, wenn man hört, dass der Kehlkopf feucht ist. Wenn eine Stimme reich, voll und in allen Frequenzbereichen harmonisch ausgeglichen und aufeinander abgestimmt ist. Das macht eine schöne Stimme aus!

Weiterdenken: Ihre Begeisterung ist mit Händen zu greifen – da spricht wahrscheinlich der Musiker …

Gress: Ja (lacht).

Weiterdenken: Stichwort „Gesundheit“: Nehmen wir geschulte und gesunde Stimmen als besonders angenehm wahr? Und empfinden wir dann umgekehrt ungesund klingende Stimmen automatisch eher als unangenehm?

Gress: Ich zögere. Das würde ich gerne bejahen. Aber uneingeschränkt kann ich dann doch nicht zustimmen. Es gibt Stimmen, die sind vom Klang her total kaputt, aber die Leute lieben sie! Ich denke, das Wichtigste an einer schönen Stimme ist im Grunde, dass sie etwas ausdrückt. Dass in ihr Leben mitschwingt. Ein Beispiel: Eine „versoffene“ Stimme – ich nenne das jetzt mal so – mag für manche Einsatzzwecke und für manche Personen durchaus einfach interessant klingen. Da ist jemand mit Lebenserfahrung, da steckt eine Geschichte dahinter. Es ist aber eine gute Frage, was dann da genau mitschwingt. Gleiches gilt für rauchige Stimmen: Vielleicht klingt es nach Abenteuer, wenn es irgendwie rau und kernig klingt. Das alles ist ja nicht gesund – aber viele Leute mögen das. Einige Sprecher sind übrigens sogar Raucher, oft die mit tiefen Stimmen. Aber das hat natürlich auch große Nachteile. Oft können sie nicht lange sprechen, bis die Stimme heiser wird. Dafür klingt ihre Stimme manchmal bassiger und etwas reicher. Aber noch mal: Das ist nicht gesund! Ich will definitiv nicht pro Rauchen sprechen.

Weiterdenken: Wie sieht es mit Emotionalität aus? Regt eine emotionale Stimme auch im Hörer Emotionen an?

Gress: Auf jeden Fall! Emotionen sind essenziell: Eine tolle Stimme hat, wie ein Mensch selbst auch, Charisma. Die hört man und bleibt daran hängen. Wie kommt eine Person zu Charisma? Was macht Charisma aus? Das hat man einfach – oder man hat es nicht. Glaube ich. Es ist etwas sehr Abstraktes.

Weiterdenken: Vom Abstrakten nun noch ein kurzer Abschlussblick zur Praxis des guten Sprechens mit gutem Stimmeinsatz, die Dos und Don’ts für interessierte Laien. Zuerst: Was sollte man zum Beispiel tunlichst vermeiden?

Gress: Eine kalte Stimme darf nicht schreien. Das ist nicht gut für die Stimmbänder – dann wird man heiser. Wenn man laut sprechen muss, zum Beispiel bei Vorträgen, dann macht es durchaus Sinn, vorher ein paar Stimm- und Atemübungen zu machen. So kann man lange und laut sprechen, ohne dass man schnell heiser wird. Training ist da sicherlich eine gute Sache.

Weiterdenken: Und was sind die absoluten Dos?

Gress: Also ausgehend von den Kriterien, die ich eingangs schon für professionelle Sprecher geschildert habe: erst mal Deutlichkeit. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass man sich Mühe gibt, dass das Gegenüber einen auch versteht. Ansonsten ist Selbstbewusstsein ganz wichtig. Das hat in diesem Zusammenhang weniger mit persönlichen Eigenschaften zu tun als schlicht mit Luft: Spricht man schüchtern in sich hinein – also mit sehr wenig Luft – wird man nicht verstanden. Spricht man dagegen selbstbewusst, mit Luft, dann wird man verstanden. Die Luft ist enorm wichtig beim Sprechen – ganz wie bei einem Instrument. Versteht man die Stimme als Instrument, dann kann man auch wie ein Musiker darauf spielen. Und kann so in seinem Gegenüber die Emotion erzeugen, die man haben will. Also: Die Stimme bewusst einsetzen!

Weiterdenken: (Holt tief Luft) Herr Gress, herzlichen Dank für das Gespräch!



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