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Wenn plötzlich alle was wagen

Was geschieht mit einem großen Begriff wie „Mut“, wenn er in der Marketingsprache – wie aktuell zu beobachten ist – beinahe inflationär genutzt wird? Wir wagen eine Analyse.

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– Sprachlabor –
25. Oktober 2018
Wenn plötzlich alle was wagen
Was geschieht mit einem großen Begriff wie „Mut“, wenn er in der Marketingsprache – wie aktuell zu beobachten ist – beinahe inflationär genutzt wird? Wir wagen eine Analyse.

Greifen wir mal auf ein altbewährtes journalistisches Rezept für eine Interesse erweckende Einleitung zurück: Man nehme zunächst Dinge, die auf den ersten Blick nicht richtig zusammenpassen, und setze sie sodann in einer Frage in einen Zusammenhang:

Was haben Umbro, Henkel, Nike, ASOS und Diesel gemeinsam?

Sie alle werben zurzeit mit den Wörtern „etwas wagen“, „sich trauen“ und „Mut“.

Bei Henkel heißt es beispielsweise „Dare to mix“. Damit werden Kunden konkret dazu ermutigt, mit einem neuen Waschmittel auch Farben wie Weiß und Rot zusammen zu waschen. Und Umbro wirbt mit „We dare“ für die neue Trikot-Kollektion des Bundesligavereins SV Werder Bremen. Branchenübergreifend rufen Marken ihre Kunden zu Mut und Wagnis auf. Und mit einem Mal kann ein einfacher Hashtag wie die Eintrittskarte in ein Abenteuer und ein Produkt wie der Mantel eines Superhelden wirken.

Was auf den ersten Blick nach einer starken, energetischen Botschaft und nach Abenteuerlust klingt, hinterlässt auf den zweiten Blick allerdings auch ein Fragezeichen: Was haben Produkte wie ein neues Waschmittel oder Trikot denn mit Mut zu tun? Wir betrachten dieses Thema im Folgenden vor allem aus der sprachlichen Perspektive und fragen: Was bedeutet dieser Begriff „Mut“ eigentlich wirklich und für welche Marketing-Botschaften wird er eingesetzt?

Laut Duden hat Mut zwei leicht unterschiedliche Bedeutungen. Die erste ist eher situationsbezogen: „[Mut ist die] Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden; [Mut ist] Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte“. In der zweiten Richtung geht es eher um eine Eigenschaft oder Geisteshaltung: „[Mut ist die] (grundsätzliche) Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält“. Beide Definitionen enthalten demnach insbesondere zwei Komponenten: Angst beziehungsweise Sorge auf der einen Seite und deren Überwindung auf der anderen. Beide Komponenten stehen dabei in direkter Abhängigkeit, denn je größer die individuell erfahrene Angst, desto größer ist auch der notwendige Schritt zu ihrer Überwindung.

Da Mut also auch stets auf den Mikrokosmos eines Individuums bezogen ist, wollen wir an dieser Stelle kein eigenes Beispiel für einen mutigen Menschen vorgeben. Vielleicht überlegst du einmal ganz spontan selbst, wer für dich ein mutiger Mensch ist. Und wenn wir jetzt den Mut dieser Person, an die du gerade denkst, mit dem Mut gleichsetzen, rote zusammen mit weißen Kleidungsstücken zu waschen, zeigt sich sicherlich schnell eine gewisse Diskrepanz. Wahrscheinlich verlangt „Dare to mix“ eine recht andere Form von Mut. Nennen wir es die „Light- Form“.

Beim „Mut light“ geht es also nicht wirklich um heroische Tapferkeit, nicht um wahre Zivilcourage. Sondern es geht darum, die positiven Konnotationen des Begriffs, das Feeling, das er verströmt, auf ein mehr oder (oft eher) weniger passendes Produkt zu übertragen. Den potenziellen Kunden soll signalisiert werden: „Seid besonders. Seid anders. Macht es anders. Geht neue Wege.“ – eben: Habt „Mut light“. Das Ziel ist klar: Mehr oder weniger ohne es zu merken, fühlt sich der Kunde wie ein Pionier – es hebt einen aus der grauen Masse hervor. Gleichzeitig ensteht auch eine gewisse Vertrauensbeziehung zwischen Marke und Kunde: „Mach ruhig mit: Mit uns geht jedes Abenteuer gut aus.“ Dabei wird allerdings der bedeutungsschwere Begriff nur zu einem Leichtgewicht-Schatten seiner selbst.

Und so wird die „Light-Machung“ großer Begriffe wie Mut, Liebe oder Glück zu einer sprachlich bedeutsamen Nebenwirkung von Marketing. Wörter werden nicht zweckentfremdet, sondern vielmehr „wertentfremdet“. Denn wenn wir im Marketing einen solchen starken Begriff in einen viel schwächeren Kontext setzen, erreichen wir einen gegenläufigen Effekt: Slogan und Produkt werden aufgewertet – der Begriff selbst aber abgewertet.

Natürlich hat die infrage stehende Vorgehensweise eine lange und auch erfolgreiche Tradition in der professionellen Kommunikation. Wir wollen also an dieser Stelle nicht den Zeigefinger mahnend erheben, sondern diesen vielmehr auf uns selbst richten. Denn auch Marketer haben eine Verantwortung für Sprache. Wenn wir also möchten, dass unsere Botschaften ernstgenommen werden, ist grundsätzlich Sensibilität gefragt – jenseits aktueller sprachlicher Trends. Nicht auf jeden Branchen-Zug aufzuspringen: Das erfordert in unseren Augen durchaus eine gewisse Portion Mut.

 

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