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Viva la Online-Revolución?

Volle Kontrolle über Werbeanzeigen im Internet – das verspricht der neue Browser „Brave“. Wir haben uns angeschaut, ob damit der Online-Werbung eine Revolution ins Haus steht.

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– Trennt's: Spreu vom Weizen –
16. Januar 2020
Viva la Online-Revolución?
Volle Kontrolle über Werbeanzeigen im Internet – das verspricht der neue Browser „Brave“. Wir haben uns angeschaut, ob damit der Online-Werbung eine Revolution ins Haus steht.

Hast du dich auch schon einmal von Online-Werbung „verfolgt“ gefühlt? Recherchiert man online beispielsweise nach Laptops, bekommt man anschließend auf einmal an unterschiedlichsten Stellen Werbung für alle möglichen Modelle angezeigt – sei es bei seinem bevorzugten Nachrichtenportal, auf Shopping-Plattformen oder bei Social Media. Möglich ist dies durch das Tracking von Nutzern und deren Aktivitäten über ihre Browser. Die über Cookies & Co. gewonnenen Informationen nutzen Werbetreibende dann, um maßgeschneiderte Botschaften zu schalten – über verschiedene Seiten hinweg.

Doch damit wäre Schluss, wenn es nach den Gründern von Brave ginge. Der Browser-Neuling bietet eine alternative Form der Online-Werbung, bei der Nutzer die Kontrolle darüber haben, ob und wie viel Werbung sie sehen möchten. Zudem verspricht er standardmäßig viel Datenschutz und Privatsphäre. Wir haben uns das mal genauer angeschaut.

So funktioniert der neue Browser
Normalerweise sind Werbebanner, -videos und -Pop-ups auf vielen Webseiten zu finden und nur einige Beispiele für konventionelle Online-Werbung. Ihr Ziel ist es, Klicks zu generieren. Als gutes Ergebnis für Anzeigen in Suchmaschinen beispielsweise gilt eine Klickrate (Click-Through-Rate, CTR) von zwei Prozent – das heißt, dass von 100 Personen, die eine Anzeige sehen, nur zwei auf diese klicken müssen, damit wir die Anzeige als erfolgreich ansehen. Werbeanzeigen sind fester Teil vieler Seiten, da sich diese oft über Werbeeinnahmen finanzieren. Erlöse werden pro Klick erzielt. Um möglichst viele Klicks zu generieren, werden Anzeigen deshalb zum Teil zwischen Inhalten versteckt oder tauchen unvermittelt auf und unterbrechen das Browsen.

Bei Brave passiert genau das nicht. Herkömmliche Online-Anzeigen, die ungewollt Teil nahezu jedes Surfens sind, werden standardmäßig blockiert. Nutzer können stattdessen selbst entscheiden, ob sie dem Werbeprogramm „Brave Rewards“ beitreten, um ausgewählte Anzeigen, sogenannte Brave Ads, angezeigt zu bekommen. Warum man das machen sollte? Weil man dann an den Werbeeinnahmen beteiligt wird. Die Idee dahinter ist, dass Nutzer diese Einnahmen an Seitenbetreiber und Autoren (sogenannte Content Creators) spenden. So sollen Internetinhalte ohne konventionelle Online-Werbung finanziert werden.

Aktivieren Nutzer Brave Ads, tauchen die vorgeschlagenen Anzeigen als vergleichsweise unauffällige Benachrichtigungen am Bildschirmrand auf. Geöffnet werden sie nur, wenn man sich aktiv dafür entscheidet und sie per Klick aufruft. Für jede angeschaute Anzeige erhalten Nutzer 70 Prozent der Werbeeinnahmen, die Brave durch diesen Klick generiert. Diese Einnahmen können Nutzer dann an ihre bevorzugten Inhaltsanbieter spenden oder automatisch verteilen lassen. Perspektivisch soll man sich die Einnahmen auch selbst auszahlen lassen können.

Hat Brave mit diesem Konzept das Potenzial, die Online-Werbung zu revolutionieren? In unserer Analyse betrachten wir Reichweite, Klickqualität, Kontrolle, Transparenz und das Involvement der Nutzer als zentrale Faktoren für die Erfolgschance des neuen Konzepts.

Eine Gleichung mit vielen Unbekannten
Seit dem Launch von Brave 1.0 im November 2019 hat der Browser ein starkes Wachstum hingelegt. Mit etwas über zehn Millionen monatlichen Nutzern (Stand Ende November 2019) ist seine Reichweite aber noch vergleichsweise gering. Zum Vergleich: Mozilla Firefox hatte zur gleichen Zeit über 253 Millionen monatliche Nutzer, und 2,1 Milliarden monatliche Nutzer hat Facebook, eine der führenden Seiten für Online-Anzeigen – die damit zudem nur eine von vielen Alternativen für Werbetreibende ist, um Anzeigen zu schalten. Damit das Werbekonzept von Brave ins Rollen kommt, ist es daher wichtig, die Reichweite des Browsers deutlich auszubauen.

Brave Ads erreichen eigenen Angaben nach Klickraten von 14 Prozent – sieben Mal so viel wie übliche Online‑Werbung. Fraglich ist jedoch, ob das Interesse der Werbung gilt oder eher der Gewinnbeteiligung. Ohne weitere Informationen dazu, wie die Anzeigen konvertieren, kann die Qualität der Klicks daher nicht bewertet werden. Gemeinsam mit der geringen Reichweite ist daher unklar, wie viele potenzielle Kunden Werbetreibende über Brave wirklich erreichen können.

Pluspunkte sammelt Brave jedoch für die Kontrolle, die Nutzer über die Werbung haben, die ihnen angezeigt wird. Haben sie sich entschieden, Brave Rewards zu aktivieren, können sie individuell einstellen, wie viele Anzeigen ihnen pro Stunde vorgeschlagen werden. Das könnte jene Nutzer überzeugen, die Werbung wegen der üblichen „Werbeflut“ komplett vermeiden, grundsätzlich aber durchaus an einem vertretbaren Maß passgenauer Anzeigen interessiert wären.

Auch in Sachen Transparenz kann Brave auftrumpfen. Während bei traditioneller Online-Werbung für die Nutzer nicht immer ersichtlich ist, wann, wie und wer genau Werbeerlöse erzielt, können sie bei Brave gezielt steuern, wer profitiert. Gleichzeitig wird Nutzern Werbung nicht einfach „untergeschoben“, etwa wenn ein Pop-up plötzlich auftaucht und man versehentlich darauf klickt. Erst die aktive Entscheidung, auf eine Werbeeinblendung am Bildschirmrand zu klicken, führt zu Erlösen.

Die Idee von Brave basiert darauf, dass Nutzer ihre Erlösbeteiligung an Inhaltsanbieter weiterleiten, damit sich diese finanzieren können. Hierin sehen wir die Crux des Konzepts. Denn das setzt voraus, dass Nutzer in diesen Prozess involviert sein möchten. Sie müssen aktiv werden; nicht nur, um die Erlöse zu verteilen, sondern auch, um Brave Rewards überhaupt beizutreten. Dass Erlöse dann auch noch gespendet werden, setzt schon fast einen Community-Charakter voraus. Wir glauben, dass sich nur eine vergleichsweise kleine Gruppe von Internetnutzern so kritisch mit dem Thema Online-Werbung auseinandersetzt und ein so hohes Involvement aufweist, dass sie dies wirklich tun. Aber natürlich lassen wir uns gern eines Besseren belehren.

Online-Revolución oder nur eine Utopie?
Unser Fazit: Für uns gibt es aktuell noch zu viele Fragezeichen in Braves neuem Werbekonzept, als dass wir es als zukunftsweisenden Trend bezeichnen können. Vielversprechend sind der standardmäßige Datenschutz, der hohe Schutz der Privatsphäre, die Transparenz und natürlich die volle Kontrolle über die Werbung. Als datenschutzorientierter Browser könnte sich Brave deshalb langfristig etablieren. Wir sind aber nicht überzeugt, dass das neue Anzeigenkonzept traditionelle Online-Werbung verdrängen wird.

Auf den Strich gebracht sieht unsere Trendenz deshalb wie folgt aus:


Quellen: brave.com, popularmechanics.com, sueddeutsche.de, wordstream.com, marketinglogiq.com

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