Meistens fällt der Spruch, wenn jemand Geburtstag hat: „Ab soundso vielen Jahren geht’s bergab.“ Egal, ob das „Soundso viele“ 24, 30, 42 oder jede beliebig andere Zahl umfasst, in der Regel wird ein stetiger Verfall erwartet – vor allem in Bezug auf unsere geistigen Fähigkeiten. Dabei muss das gar nicht unbedingt stimmen. Werfen wir einen Blick ins Gehirn. Lernen wir, dass kognitive Prozesse mit dem Alter nicht zwingend schlechter werden. Dabei spielen sowohl die Kommunikation im Gehirn, als auch unsere erworbenen kommunikativen Fähigkeiten eine große Rolle. Und die gute Nachricht ist: Beides kann man hervorragend trainieren.
Hat jemand mein Neuron gesehen?
Zunächst einmal gilt es zu verstehen, was im Gehirn überhaupt schlechter werden kann. Dabei muss zwischen Zweierlei unterschieden werden: Neuronen und Synapsen.
Neuronen sind Nervenzellen. Ihre Anzahl steht bei Geburt schon weitestgehend fest. Synapsen sind eine Art Fortsatz, der von einem Neuron wegführt und Informationen zu benachbarten Neuronen überträgt. Stellen wir uns Neuronen als Computer eines Netzwerkes vor, so wären Synapsen die Kabel, die die einzelnen Computer innerhalb des Netzwerkes miteinander verbinden. Je geschickter diese verlegt sind, desto besser sind die Verbindungen zwischen den Computern, und desto besser funktioniert die Kommunikation im Gehirn.
Zwar gehen im Laufe eines Lebens rund zehn Prozent der Neurone verloren, trotzdem ist deren Anzahl im Gegensatz zur Menge der Synapsen verhältnismäßig konstant – sofern man Krankheiten oder Verletzungen außer Acht lässt.
Ein bisschen Verlust schadet nicht
Wovon wir tatsächlich eine ganze Menge verlieren, sind Synapsen. Und zwar schon in frühester Kindheit. Auf die Welt kommen wir nämlich mit einem heillosen Durcheinander von synaptischen Verbindungen – viel zu viel, um effizient zu funktionieren.
Mit jeder neuen Erfahrung sortiert das Hirn aus – ganz nach dem berühmten Motto „Use it or lose it“. Verbindungen, die benutzt werden, bleiben bestehen und werden sogar gestärkt; ungenutzte Verbindungen werden im Gegenzug abgebaut. So lernt das Hirn nach und nach, immer effizienter innerhalb und zwischen seinen unterschiedlichen Arealen zu kommunizieren. Ein gewisses Maß an Verlust im Hirn ist also für uns alle normal und sogar wichtig.
Später im Leben ist der Abbau von Synapsen vor allem mit Vergessen assoziiert. Außerdem sorgen verschiedene biologische Veränderungen dafür, dass unsere Hirnmasse langsam abnimmt. Die Folge: Lernen fällt uns schwerer, wir verarbeiten neue Informationen langsamer.
Es geht also weniger um die Anzahl der Neuronen, als um die Anzahl und die Stärke ihrer Verbindungen, also der Synapsen. Und nachdem das Prinzip „Use it or lose it“ ein Leben lang gilt, ist also ziemlich klar, dass wir uns umso besser fit halten können, je regelmäßiger wir uns fordern. Denn damit trainieren wir unsere Synapsen und pflegen so die Kommunikationswege im Hirn.
Auch im Alter geht noch „Neubau“
Dabei ist selbst im hohen Alter mehr möglich, als nur den Schwund zu bekämpfen. Nahm man früher an, das Hirn könne sich im Erwachsenenalter kaum noch verändern, weiß man es heute besser. Trotzdem hält sich noch hartnäckig das Gerücht, mit fortgeschrittenem Lebensalter sei das Ende der Fahnenstange erreicht. Weit gefehlt.
Eine Studie des Neurologen Arne May zeigte nämlich, dass Hirnareale im höheren Erwachsenenalter sogar noch wachsen können: Eine Gruppe Senior*innen erlernte über drei Monate hinweg das Jonglieren. Ihre Hirne wiesen nach Ablauf der drei Monate in entsprechenden Arealen ein deutliches Wachstum auf. Vermutlich waren neue Synapsen aufgebaut und/oder bestehende verstärkt worden – eine Fähigkeit, die man früher in älteren Gehirnen nicht für möglich gehalten hatte. Selbst wenn es vielleicht etwas länger dauert – Neues zu lernen lohnt sich also immer.
Je greiser, desto weiser
Zu guter Letzt kommt uns im fortgeschrittenen Alter noch etwas Anderes zugute: Lebenserfahrung. Im Wissenschaftsjargon kristalline Intelligenz genannt, sammelt sie sich von Jahr zu Jahr an und bringt so einige Vorteile mit sich – insbesondere eine höhere Sprachkompetenz, ein größeres Wortgedächtnis und eine verbesserte Fähigkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen. Das heißt: Vor allem was die Kommunikationsfähigkeit angeht, können Ältere also einen klaren Vorsprung haben.
Der Gegenpart der kristallinen Intelligenz wird übrigens fluide Intelligenz genannt und ist bei jüngeren Menschen stärker ausgeprägt: Dazu gehören beispielsweise die Steuerung von Aufmerksamkeit und die Geschwindigkeit, mit der Informationen verarbeitet werden. Was wir also im Laufe des Lebens an Schnelligkeit und Wendigkeit einbüßen, gleichen wir mit Wissen, Erfahrung, Kombinationsgabe und Kommunikationsfähigkeit aus.
Halten wir also fest, dass für unser Hirn weder Hopfen noch Malz verloren ist. Tatsächlich unterliegt das Hirn ständigem Wandel. Und es kann mit hinzugewonnenen Erfahrungen locker das ausgleichen, was an Geschwindigkeit verloren geht. Oder um es mit unserem Vergleich vom Anfang zu sagen: Eine ausgefeilte Software hält auch etwas veraltete Technik gut am Laufen. Von allein passiert das allerdings nicht. Ein regelmäßiges Softwareupdate – sprich ein Training unseres Geistes und besonders unserer Kommunikationsfähigkeit – darf nicht vergessen werden!
Und außerdem: Seit Udo Jürgens wissen wir sowieso, dass das Leben erst mit 66 Jahren anfängt. Also am besten jetzt schonmal mit gepflegter Kommunikation den Denkapparat fit halten …