Die Corona-Krise bedroht unsere globalisierte Welt. Die direkten und indirekten Folgen der COVID-19-Pandemie stellen uns auf individueller, unternehmerischer wie gesellschaftlicher Ebene vor ungeahnte Herausforderungen. Gerade jetzt ist Kommunikation essenziell – da Menschen nach Antworten, Informationen, Lösungen und Strukturen suchen.
Das bringt Krisenkommunikation schlagartig wieder ganz nach oben auf der Agenda von Institutionen und Unternehmen. Schonungslos wird klar, wer gewohnt ist kommunikativ auf Krisen zu reagieren und sich vorzubereiten – und wer nicht. Besonders Letztere brauchen pragmatische Lösungsvorschläge, die funktionieren und wirklich weiterhelfen.
Vor diesem Hintergrund haben wir mit unserem Issue-Management-Experten über Krisenkommunikation insbesondere in Zeiten des SARS-CoV-2 Virus gesprochen.
Als Kommunikationsexperte und Naturwissenschaftler machte sich Dr. Tim Karg einen Namen mit Unternehmenskommunikation an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft, Technik und Marketing. Er ist ausgewiesener Spezialist im Bereich des Issue Managements und berät seit 20 Jahren nationale wie internationale Unternehmen im Bereich der Risikokommunikation. |
Weiterdenken: Tim, ohne konkrete Kommunikationsstrategie sehen sich in der aktuellen Corona-Krise viele Unternehmen und Institutionen gezwungen zu improvisieren. Wie schätzt du die Erfolgschancen ein?
Tim Karg: Improvisation während einer Krise und unter innerem wie äußerem Druck steigert Stress und erhöht die Fehleranfälligkeit. Da hilft externe Unterstützung meist enorm. Allein schon für den so wichtigen neutralen Blick und die sofortige Beruhigung der eigenen – völlig verständlichen – Emotionen. Und natürlich ist es dann unglaublich hilfreich, wenn so auf langjährige Erfahrung und erfolgreiche Maßnahmen zurückgegriffen werden kann.
Weiterdenken: Beratung klingt gut – allerdings findet man doch auch online jede Menge Hinweise, Ratgeber, Tipps, …
Tim Karg: Stimmt, das Internet ist voll davon. Viele sind auch sicher hilfreich. Wer allerdings jetzt erst beginnt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wird schnell von den Ereignissen überrollt. Oft bleibt einfach keine Zeit mehr fürs Ausprobieren.
Weiterdenken: Gut – falls ich nun überzeugt bin, wie suche ich dann den richtigen Berater aus?
Tim Karg: Meistens muss es in dieser Situation sehr schnell gehen – so auch aktuell: Das Tempo gibt hier ausschließlich das SARS-CoV-2 Virus vor. Wie bereits erwähnt ist der Druck für Entscheider oft sehr hoch. Dennoch: Man sollte sich immer die Zeit nehmen auszuloten, bei wem man sich gut aufgehoben fühlt – das muss schon passen. Der potenzielle Berater muss sich ernsthaft mit der Situation auseinandersetzen. Denn in einer Krise kann es schnell um viel gehen.
Weiterdenken: Krisen sind geprägt von Unsicherheit. Das führt gerade in Medien und öffentlichen Debatten oft zu Spekulationen. Wie verhält man sich da am besten?
Tim Karg: Ich fange mal so an: Es ist unfassbar schwer, sich solchen Debatten zu entziehen. Und genau diese angesprochenen Unsicherheiten verleiten schnell mal zu vermeintlich einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Aber Spekulationen sind für die Krisenkommunikation grundsätzlich Gift. Daher rate ich immer, bei den Fakten zu bleiben – selbst dann, wenn man nichts Verbindliches sagen kann. Auch das ist ein Fakt, den man verständlich und nachvollziehbar rüberbringen kann.
Weiterdenken: Welche Ratschläge gibt es denn noch für die richtige Kommunikationsstrategie?
Tim Karg: Zunächst ist wichtig, einen möglichst detaillierten Überblick über die Situation zu bekommen – konkret heißt das, schnell Informationen zu sammeln und diese klar zu kategorisieren. Und dann zu definieren: Was weiß ich, was weiß ich nicht und wie ist meine Einschätzung der Lage. Daraufhin lassen sich Kommunikationsziele festklopfen: Was müssen wir erreichen? Was sollen wir erreichen? Und was können wir erreichen?
Weiterdenken: Also eine Art Lageplan – und dann?
Tim Karg: Im nächsten Schritt muss die Informationsvermittlung gesteuert werden – immer mit der Frage im Hinterkopf: Wer muss was wann wissen, und wie vermittle ich diese Information. Das bringt Ruhe und System in die Kommunikation. Von Anfang an so vorzugehen ist wirklich entscheidend: Denn wenn der Start sitzt, ist bei allen Beteiligten ein Grundvertrauen da – und so kann dann die Kommunikation durch die gesamte Krise tragen.
Weiterdenken: Dann lass uns doch mal mit dem „wer“ und dem „was“ beginnen.
Tim Karg: Natürlich, gern! Bei dem „wer“ gilt allgemein der Grundsatz von innen nach außen. Nehmen wir das konkrete Corona-Beispiel „Abstandsregeln“. Wenn ein Geschäft wieder öffnen soll, müssen intern die eigenen Mitarbeiter und extern zum Beispiel Lieferanten und natürlich Kunden informiert werden. Je nach Art des Unternehmens können natürlich noch deutlich mehr „wers“ oder besser ausgedrückt Zielgruppen dazukommen. Wenn man die dann alle im Blick hat, geht es um das „wann“ …
Weiterdenken: … bei dem sicherlich viele Dinge gleichzeitig bedacht werden müssen …
Tim Karg: Exakt. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Die Mitarbeiter können nur für die Einhaltung von Abstandsregeln sorgen, die vor Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen sollen, wenn sie vorher eingewiesen wurden. Auch für Nachfragen und Beschwerden von Kunden sollte man Mitarbeiter natürlich mit dem nötigen Wissen und den passenden Antworten ausstatten, bevor die ersten Kunden den Laden betreten. Das mag banal klingen, aber gerade diese vermeintlich logischen Dinge sind oft die, die zuerst unter den Tisch fallen.
Weiterdenken: Und dann bleibt uns natürlich noch die Frage nach dem „wie“.
Tim Karg: Richtig. Hier muss von Anfang an auf klare und vor allem einheitliche Sprachregelungen und Formulierungen geachtet werden. Dann kommt der passende Kommunikationskanal – also der Weg oder das Medium, wie ich meine Mitarbeiter, Händler, Kunden und so weiter in der jeweiligen Sondersituation am besten erreiche. Und jetzt muss noch – vor allem bei kritischen Informationen – definiert werden, ob ein Punkt aktiv kommuniziert wird oder ob reaktive Stellungnahmen vorbereitet werden. Das ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich und überhaupt nicht trivial.
Weiterdenken: Apropos „Kommunikationskanal“ – ist da nicht eigentlich Social Media perfekt für Krisenkommunikation geeignet? Schnell, direkt, für quasi jeden einsehbar, …
Tim Karg: Beim Thema „Social Media“ gilt wirklich, ganz besonders vorsichtig zu sein. Diese Kanäle haben natürlich riesiges Potenzial – aber immer in beide Richtungen. So sehr soziale Medien unseren Alltag also durchdringen – beim Thema Krisenkommunikation rate ich prinzipiell: Informationen können hier natürlich bereitgestellt und vor allem extrem flexibel im Verlauf der Entwicklungen angepasst werden. Auch Fragen können hier sehr gut bearbeitet werden. Aber alles, was zum Selbstläufer und im Extremfall zum berüchtigten Shitstorm werden kann, ist unbedingt zu vermeiden. Für unser Beispiel „Abstandsregeln“ könnte das heißen: Lieber präsentiert sich ein Unternehmen durch Information über seine Abstandsregeln als verantwortungsbewusst oder schlicht compliant mit den jeweiligen gesetzlichen Vorgaben auf seiner Website, als sich auf Facebook und Co. potenziell jeder Menge ungebremster Negativkommentare auszusetzen. Denken wir einfach an die aktuellen Reaktionen beispielsweise auf den COVID-19-Podcast von Professor Drosten von der Berliner Charité!
Weiterdenken: Gibt es zum Schluss noch einen persönlichen Spezial-Tipp? Irgendetwas, an das man schon jetzt während der Corona-Krise denken sollte?
Tim Karg: Eine Sache, die für unsere strategische Arbeit immer gut ist: Jetzt notieren, was kommunikativ gut läuft, was schlecht läuft, was wichtig und unwichtig ist. Das ist in Zukunft Gold wert!
Weiterdenken: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.