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Das kommt mir Bahnhof vor!

Kennst du das? Du liest einen Text und weißt danach gefühlt weniger als davor? Wir haben gelernt: Dieses Gefühl ist quantifizierbar! Und zwar mit dem Flesch-Grad!

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– K-TEILCHEN –
11.02.2021
Das kommt mir Bahnhof vor!
Kennst du das? Du liest einen Text und weißt danach gefühlt weniger als davor? Wir haben gelernt: Dieses Gefühl ist quantifizierbar! Und zwar mit dem Flesch-Grad!

Kalkulierte Lesbarkeit
Wann ist ein Text gut? Das ist eine Frage, die uns natürlich ständig umtreibt. Eines von vielen Kriterien, um das zu beurteilen, ist die Lesbarkeit. Und die lässt sich offenbar anhand von nackten Zahlen kalkulieren. Wenn dir also das nächste Mal ein Text unlesbar erscheint, kannst du ja mal seinen Flesch-Grad ausrechnen. Der Flesch-Grad ist eine der bekanntesten Methoden zur Messung von Textlesbarkeit. Entwickelt in den 1940ern von Rudolf Flesch, nutzt er eine spezielle Formel, um statistisch zu erheben, wie gut ein Text lesbar ist. Am Ende der Rechnung steht eine Zahl. Je höher diese ist, desto besser die Lesbarkeit des Textes.

Und so geht’s: Flesch-Wert = 180 – SL – (58,5 x WL)

Als Indikatoren dienen die durchschnittliche Wortlänge (WL) und die durchschnittliche Satzlänge (SL). Grundannahme ist: Je kürzer die Sätze und Worte eines Textes sind, desto besser ist er lesbar. Zum Beispiel würde ein Text mit einem Flesch-Wert von 100 aus extrem kurzen Sätzen mit fast nur ein- oder zweisilbigen Wörtern bestehen. Zur Orientierung: Die Flesch-Werte von Texten deutscher Tageszeitungen liegen beispielsweise zwischen 30 und 50, zwischen mittel und mittelschwer. Schwierigere Texte haben demzufolge niedrigere Flesch-Werte.

Alles hat seine Grenzen
Eine solche Bewertung ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. So ein Lesbarkeitsindex wie der Flesch-Grad kann nämlich nicht alles. Da er als einzige Parameter die Satz- und Wortlänge nutzt, kann er keinerlei Aussage über die inhaltliche Verständlichkeit eines Textes treffen.

Voraussetzung für einen guten Text und die sinnvolle Anwendung des Flesch-Tests ist also immer, dass der Textinhalt auch Sinn ergibt. „Das Pferd liest im Mai“ hat genau den gleichen Flesch-Wert wie „Das Pferd steht im Stall“. Auf Anhieb verständlich und sinnvoll wirkt allerdings nur einer der beiden Sätze. Das bedeutet, dass man einen Text immer erst dann durch den Flesch-Wolf jagen sollte, wenn die gewünschte Textaussage bereits steht. Dann kann der aber ein guter Jäger von Blähsätzen und Heißer-Luft-Floskeln sein.

Zugeschnitten auf die Zielgruppe
Ein ähnliches semantisches Problem bereiten dem Flesch-Grad allerdings auch Synonyme und Fachbegriffe: Ausschlaggebend für die Verständlichkeit eines Textes ist nämlich auch, wie geläufig die genutzten Worte sind. Fachbegriffe, Fremdworte, veraltete Begriffe oder Neuschöpfungen – es hängt von den Rezipienten ab, was verstanden wird und was nicht. Und nicht zwingend von der Länge der Worte.

Je nach Zielgruppe kann es also sein, dass gerade ein niedriger Flesch-Grad besser passt. Zum Beispiel ist in juristischen Texten oder in wissenschaftlichen Publikationen eine komplexere, differenziertere Ausdrucksweise und passendes Vokabular geboten – zumindest um die Adressaten vom Fach zu erreichen. Interessant als Richtschnur wird der Flesch-Grad dann aber wieder, wenn man außerhalb der gewohnten Fachgemeinde kommunizieren will oder muss.

Denn den Flesch-Grad zu berücksichtigen, hat nichts damit zu tun, das Niveau von Texten herunterzuschrauben oder sie zu „verdummen“. Er kann aber dabei helfen, weiter durchzudringen. Ein Merkblatt zur Steuererklärung oder die städtische Abfallverordnung beispielsweise wäre sicher deutlich „kundenfreundlicher“, als meist in der Realität, wenn man beim Schreiben auf eine Platzierung weit oben auf der Flesch-Skala zielen würden.

Paradebeispiel Parodie
Texte aus Verwaltung und Politik „fleschen“ ihre Leser sicher besonders oft. Böse Zungen mögen sogar behaupten, Politiker*innen zielen oftmals bewusst relativ tief auf der Flesch-Skala. Um genau nicht verstanden zu werden und so fehlende Substanz zu kaschieren. Das soll uns als Schreiberlinge oder Redner, die ihre Zielgruppen mitnehmen wollen, nicht als Beispiel dienen. Darum bleib hart am Inhalt und jage dann aber auch gern noch mal den Flesch-Wolf auf deine Texte.

Denn wo man landet, wenn man sowohl Inhalt als auch Lesbarkeit komplett außer Acht lässt, hat übrigens Loriot sehr schön auf den Punkt gebracht. Das klingt dann so wie seine „Bundestagsrede“, 1974 veröffentlicht:

„Meine Damen und Herren! Was kann als Grundsatz parlamentarischer Arbeit betrachtet werden? Politik im Sinne sozialer Verantwortung bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch, ohne darum herum zu reden, in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann den Standpunkt meiner politischen Überzeugung in wenige Worte zusammenfassen: Erstens, das Selbstverständnis unter der Voraussetzung. Zweitens, und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind. Drittens, die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftweisenden Parteiprogramms.[…]“
// Loriot

Wenn dir das mal nicht Bahnhof vorkommt …

 

Quellen: cotelangues.com, eoda.de

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