Auch wenn Influencer-Marketing nicht mehr nur als reiner Trend bezeichnet werden kann, irgendwie steckt es noch immer in den Kinderschuhen – oder sagen wir Teenieschuhen. In jedem Fall werden im Akkord neue Statistiken und Studien veröffentlicht, die Unternehmen unmissverständlich eines klar machen sollen: Wer jetzt nicht in Influencer-Marketing investiert, wird die künftige Zielgruppe der sogenannten „Millenials“ nicht mehr erreichen können.
Tatsächlich wächst hier eine Konsumgruppe heran, die mit einem natürlichen Misstrauen gegenüber großen Marken und den dahinterstehenden Unternehmen ausgestattet ist. Und so existiert eine ernstzunehmende Kommunikations-Kluft –über die aktuell vor allem eine Brücke zu führen scheint: Influencer-Marketing. Warum? Laut der meisten Nutzerbefragungen ist es (neben anderen Faktoren wie „Expertise“ und „gleiche Interessen“) Ehrlichkeit, die Nutzer am meisten an Influencern schätzen. Für Stephan Frühwirt, Medienwissenschaftler an der TU Berlin, geht das Vertrauen in diese Ehrlichkeit sehr tief: „Influencer übernehmen die Rolle des großen Bruders oder der älteren Schwester. Sie sind die Vorbilder, die die Probleme schon gelöst haben.“ Auch allgemeiner betrachtet, ist die Ehrlichkeit für modernes Marketing ein wichtiger Trend. Von einigen Experten wird sogar eine „brutale Ehrlichkeit“ gefordert, die Unternehmen für ihre Markenintegrität bewusst einsetzen sollten – nicht nur Stärken ihrer Produkte hervorzuheben, sondern ebenfalls aufzuzeigen, wo diese möglicherweise Limitationen haben. An dieser Stelle möchten wir kurz bemerken: Es gibt Formen der Ehrlichkeit, die nicht unbedingt erstrebenswert sind, beispielsweise „naive Ehrlichkeit“ oder „beleidigende Ehrlichkeit“. Ehrlich um jeden Preis? Wir meinen, nein. Das wollen wir an dieser Stelle auch einmal festhalten.
Doch zurück zum bezahlten Influencer-Marketing. Wenn Ehrlichkeit der entscheidende Faktor ist: Was, wenn die junge Zielgruppe beginnt, dieses höchste Gut zu hinterfragen? Denn mal kritisch betrachtet: Wie ehrlich wirkt eine Aussage, für die ihr Produzent bezahlt wird? Es gibt Stimmen, die glauben, Nutzer störten sich nicht daran, wenn Beiträge klar als „Werbung“ gekennzeichnet sind. Für uns irgendwie schwer vorstellbar, dass ein mündiger Konsument hier nicht einmal ein wenig Skepsis an den Tag legt. Man stelle sich vor, der beste Freund schwärmt von seiner neuen Hausratsversicherung – und bemerkt ganz nebenbei, dass er für jeden neuen Kunden, den er gewinnt, Rabatte erhält. Wirkt das noch wie eine schlichte Empfehlung unter Freunden?
Bislang gibt es nur wenige Stimmen, die hier ein Problem ausmachen. Eine dieser Stimmen ist der US-amerikanische Marketingexperte Jayson DeMers und er warnt: „Was würde wohl geschehen, wenn moderne Konsumenten anfingen, Influencer nur noch als eine Art Vertriebskanal großer Unternehmen zu sehen, die prinzipiell nur ihren eigenen Profit im Auge haben? Das Ergebnis wäre womöglich ein ähnlicher Vertrauensbruch wie zuvor mit den großen Marken.“
Für uns ergibt sich daraus die entscheidende Frage, die sich die Marketing-Branche und die Influencer selbst stellen müssen: Gerät die Influencer-Kultur durch das Vorspannen vor Unternehmens-Karren in Gefahr und droht ihre Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit einzubüßen? Wir glauben: Zu einem solchen Bruch, vor dem DeMers warnt, wird es nicht kommen, denn die Beziehung zwischen Influencern und ihren Followern ist keinesfalls vergleichbar mit der zwischen Unternehmen und Kunden: Sie verläuft auf Augenhöhe und auf einer Ebene, die, wie bereits zuvor beschrieben, von Vertrauen und gleichen Interessen geprägt ist. Allerdings wird sich die professionelle Influencer-Landschaft langfristig emanzipieren müssen, wenn Ehrlichkeit und Authentizität weiterhin das Markenzeichen von Influencern sein sollen, und diese das Vertrauen ihrer Follower bewahren wollen.
Für uns sieht die Zukunft dieser Marketingform daher wie folgt aus: Es werden sich nur diejenigen bezahlten Influencer durchsetzen, die sich immer ergebnisoffen und unvoreingenommen mit Produkten auseinandersetzen. Die transparente Botschaft muss lauten: „Ja, ich werde dafür bezahlt. Aber ich werde für meine Ehrlichkeit und meine Expertise bezahlt und eben nicht dafür, vorformulierte Markenbotschaften zu rezitieren.“ Unternehmen, die mit solchen ehrlichen Meinungsführern zusammenarbeiten wollen, um moderne Zielgruppen zu erreichen, sollten diese Chance bewusst nutzen. Einige tun das bereits und binden beispielsweise Influencer vor offiziellen Verkaufsstarts als Praxistester ein – und das teils sehr erfolgreich. Konstruktive Kritik eines Influencers können Unternehmen offensiv für die Produktoptimierung nutzen. Und so könnte sich eine stabile „Win-Win-Win-Beziehung“ zwischen Konsumenten, Influencern und Unternehmen herausbilden. Das Potenzial ist definitiv vorhanden.