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Kraulst du noch oder plauderst du schon?

Plauschen, klönen, schnacken – es gibt viele Begriffe für den Austausch von Belanglosigkeiten. Aber wirklich belanglos ist das Plaudern keineswegs. Ein Ausflug zu den Wurzeln der menschlichen Sprache führt zu einer der grundlegendsten Praktiken des Sozialverhaltens: zum Kraulen.

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– Unser Senf dazu –
16.03.2023
Kraulst du noch oder plauderst du schon?
Plauschen, klönen, schnacken – es gibt viele Begriffe für den Austausch von Belanglosigkeiten. Aber wirklich belanglos ist das Plaudern keineswegs. Ein Ausflug zu den Wurzeln der menschlichen Sprache führt zu einer der grundlegendsten Praktiken des Sozialverhaltens: zum Kraulen.

Hand aufs Herz: Wer hat ihn in Lockdown-Zeiten nicht ab und zu vermisst? Die Rede ist vom kleinen Plausch unter Kollegen – an der Kaffeemaschine, auf dem Flur oder im Pausenraum. Dieser kurze, spontane Austausch von Belanglosigkeiten hat vielen von uns gefehlt. Nicht nur, dass uns vielleicht die eine oder andere nette Anekdote entging, zuweilen haben wir uns auch irgendwie isoliert gefühlt.

Ein sozialer Urinstinkt
Blicken wir zurück auf die Wurzeln der Sprache, dann ist der kleine Plausch für uns Menschen nichts anderes als eine effiziente Form des Kraulens. So beschreibt es Robin Dunbar in seinem Buch „Klatsch und Tratsch. Wie der Mensch zur Sprache kam“. Der britische Anthropologe hat Affengruppen beobachtet, wie sie zur Hygiene, aber vor allem auch zum Ausdruck von Freundschaft und Treue einen Großteil ihrer Zeit mit gegenseitigem Kraulen verbringen. Als sich vor tausenden von Jahren aus gemeinsamen Vorfahren der Affen die ersten Menschen entwickelten wurden auch die Gruppen größer, in denen man zusammenlebte. Auf dem Weg zur Bildung von Gesellschaften hat laut Dunbar die Sprache das Kraulen abgelöst. Denn Sprache ist effektiver: Man erreicht mit ihr gleichzeitig mehr Artgenossen als mit Kraulen. Der persönliche Austausch von Worten stärkt somit den Zusammenhalt der Gruppen und trägt so auch letztlich zu unserem Überleben bei.

Besser als sein Ruf
Besonders interessant ist, dass es laut Dunbars Untersuchungen bei unserem alltäglichen, spontanen Austausch vor allem um belanglose, zwischenmenschliche Themen geht, die bis zu zwei Drittel unseres täglichen Gesprächsaufkommens ausmachen. Mit anderen Worten: Was wir heute oft abwertend als Kaffeeklatsch bezeichnen, ist der „Kleister unserer Gesellschaft“, wie der Wissenschaftler es ausdrückt, und wird daher zu Unrecht verteufelt. Dabei muss aber aus unserer Sicht unterschieden werden zwischen dem gemütlichen Kaffeeklatsch oder auch Schwätzle, wie der Schwabe sagt, und übler Nachrede und Lästereien. Während ein netter Plausch das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärkt, denken wir, dass Lästern und Tratschen genau das Gegenteil bewirken kann: Sie führen langfristig zu sozialer Ausgrenzung.

Plauschen als Erfolgsfaktor
Aber zurück zum Büro: Auch Unternehmen sind schlussendlich Gruppen, deren Funktionieren nicht zuletzt auf einem gewissen sozialen Zusammenhalt basiert. Auf den ersten Blick haben zwar triviale Plaudereien meist wenig mit unserer beruflichen Leistung zu tun. Dennoch schaffen eben diese Gespräche, auch als Flurfunk bezeichnet, ein Gefühl der Zugehörigkeit. Das macht es leichter im Team zusammenzuarbeiten und auch mal kontroversere Gespräche zu führen. Der nette Plausch unter Kollegen ist demnach eine wichtige soziale Kompetenz, die Gruppen, wie z. B. Unternehmen, stabilisiert. Mitarbeitern die Möglichkeit für ein zufälliges, nettes Zusammenkommen an der Kaffeemaschine oder im Pausenraum zu schaffen, kann demnach sogar ein Erfolgskriterium sein.

Aber wie so oft erkennen wir erst, wie sehr wir etwas brauchen, wenn es uns mal fehlt. Wie zum Beispiel im Homeoffice – wenn uns auf dem Weg zur Kaffeemaschine allenfalls ein Stubentiger auf Futtersuche begegnet. Durchaus ein Nachteil der modernen, flexiblen Arbeitswelt. Zum Glück gibt es da virtuellen Ersatz in Form von Online-Plattformen mit Video-Funktion. Viele nutzen das mittlerweile nicht mehr nur für die tägliche Arbeit, sondern eben auch für gesellige Treffen auf einen virtuellen Kaffee. Natürlich fehlt hier in der Regel die spontane Komponente und damit eine gewisse Ungezwungenheit. Aber wer weiß, was der Fortschritt noch bringt. Vielleicht gibt es schon bald sogar einen virtuellen Flurfunk? Denn eines steht fest: Ob bei der Arbeit oder in der Freizeit, wir Menschen brauchen den netten kleinen Plausch – als Ausdruck von Vertrauen und Zugehörigkeit und nicht zuletzt zum regelmäßigen Kraulen unseres Gemüts!

Quellen: www.spektrum.de, www.strategisches-storytelling.de, www.psychologie-heute.de, www.netzpiloten.de

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