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Darts schießt durch die Decke. Jüngst bei der WM in London – und neuerdings auch in Sachen cleverer Vermarktung. Wie der Sport sein angestaubtes Image abstreift, ist ein echter Volltreffer.

© Nancy Pauwels/stock.adobe.com
– Unser Senf dazu –
11.01.2024
Onehundredandeeeeightyyy
Darts schießt durch die Decke. Jüngst bei der WM in London – und neuerdings auch in Sachen cleverer Vermarktung. Wie der Sport sein angestaubtes Image abstreift, ist ein echter Volltreffer.

Darts, der Kneipensport aus den rauchigen Pubs, will hoch hinaus. Und tut einiges dafür. Mit Erfolg, wie die Zahlen zeigen: Millionen von Zuschauern – auch auf Nischensendern. Abo‑Pakete im Pay‑TV. Podcasts. Und immer mehr Sponsoren, die den Sport als Plattform nutzen. Darts ist eine der am schnellsten wachsenden Sportarten in Europa. Sogar Spiegel Online hat uns erklärt, was wir zur Darts‑WM wissen mussten.

Wie die Vermarktungsmaschine dieses Sport‑Spektakel genau orchestriert, den Wurzeln des Sports treu bleibt, ihn gleichzeitig jedoch modernisiert und damit immer mehr Fans einsammelt, haben wir uns mal genauer angeschaut. Ganz nach dem Motto „Stand up if you love the darts” – wie der Titel eines Lieds sagt, das schon lange eigentlich bei keinem Turnier mehr fehlen darf. Tauchen wir also ein in den Darts‑Kosmos und nehmen den Ablauf eines Turniers mal genauer unter die Lupe. Dabei fällt uns auf, wie perfekt die einzelnen Bausteine der Inszenierung ineinandergreifen – und wie sich Spieler und Fans gegenseitig pushen.

Vor dem „Game On“ kommt erstmal der „Walk On“

Einer der wesentlichsten Bestandteile der Inszenierung ist der Walk On. Denn ein Dart‑Profi kommt nicht einfach nur auf die Bühne. Sein Gang dorthin ist ein feierlicher Akt, der zusammen mit dem Publikum zelebriert wird: Plötzlich verdunkelt sich die Halle, und Lichtkegel fegen über die Köpfe der Menschenmasse hinweg. Blitzlichtgewitter. Und mittendrin: der Spieler. Ihm gebührt die Ehre einer erhabenen Ansage durch den Master of Ceremonies, der mit kraftvoller Stimme seinen Namen intoniert.

Was uns direkt zum nächsten Erfolgsfaktor bringt, den Spitznamen der Spieler. Kosenamen, die ihnen im Laufe der Karriere zugeworfen werden. In der Regel von Freunden oder Bekannten. Künstlernamen, die meist auf realen Ereignissen im Leben der Profis basieren. So werden Spitznamen zu Markennamen – Storytelling inklusive.

Adrian „The Jackpot“ Lewis beispielsweise knackte einst während eines Turniers in Las Vegas den Jackpot im einarmigen Banditen. Behalten durfte er das Geld zwar nicht (da er noch jünger als 21 war), aber seither hat er seine Signature‑Story.

Mit seinem Spitznamen untrennbar verbunden ist der individuelle Soundtrack eines jeden Spielers. Über die Boxen an der Decke ertönen die ersten Klänge. Sirenen. Gefolgt von einer vertrauten Melodie. Alle singen mit. Zum Beispiel „The Eye of the Tiger“. So wie „Barney“ Raymond van Barneveld hat jeder Darts‑Spieler seinen eigenen Walk‑On‑Song.

Von Welthits getragen geht es hinauf zur Bühne – direkt durch die Fan‑Massen: Hier und da noch ein Abklatschen und ein Autogramm. Dann nochmal ein kurzes Knuddeln der Familienmitglieder vor der Bühne. Denn Nahbarkeit und Interaktion sind weitere wesentliche Bestandteile der Inszenierung. Nicht wenige Spieler kommen aus der Arbeiterschicht und sind somit unter den „einfachen Leuten“ sehr beliebt. Kein Prestige, keine Abgehobenheit, sondern Bodenständigkeit. Hier weiß man, woher man kommt. Das schweißt zusammen und sorgt für Begeisterung.

So inszeniert sich Paradiesvogel Peter „Snakebite“ Wright zum Beispiel gerne mit einem eigens einstudierten, wenn auch nicht allzu komplexen Tanz, bei dem einfach gleich die Cheerleader und die Zuschauer miteingebunden werden. „Don`t stop the Party!” heißt es in seinem Walk‑On‑Song.

„Game on!“ – die Vermarktung des Spiels selbst

Nach dem Vorspiel folgt nun das eigentliche Match – ein hoffentlich mitreißender Wettkampf. Es wird vom Caller mit den lang ersehnten Worten „Game on“ eröffnet. Auf den Bildschirmen in der Halle wird ein Split Screen eingeblendet: rechts der Spieler, der zum Wurf ansetzt. Links das im Bild vergrößerte Dartsboard. Die Pfeile fliegen und donnern auf die Scheibe, neben der Mikrofone angebracht sind, die den dumpfen Aufprall einfangen und die Zuschauer mitten ins Geschehen ziehen. In der Großaufnahme sieht man, dass die Pfeile, die natürlich im Fachhandel zu erwerben sind, eine individuelle Gestaltung aufweisen. Meist mit dem Logo des Spielers auf den Flights.

Auch das ist Teil der professionellen Vermarktung: die Logos der einzelnen Spieler. Sie prangen auf der Rückseite der Trikots, stets in Richtung Publikum gerichtet. So brennen sie sich in die Köpfe der Massen ein. Ein großes abstraktes „MG“ für „Mighty Mike“ van Gerwen oder ein Bulle mit Pfeilspitzen als Hörner für den Weltmeister des Jahres 2023 „Bully Boy“ Michael Smith. Der Platz auf dem Shirt für das eigene Logo und für die Sponsoren ist dabei genauestens festgelegt – der Dresscode der Spieler professionell und geordnet. Dunkle Hosen und Business Sneaker sind Pflicht.

Dann die erste 180 des Abends. Und mit ihr der Ausruf des Callers: „Onehundredandeeeeightyyy.“ Drei Volltreffer in die dreifache 20! Im Publikum werden von Fans Pappschilder mit der magischen Top‑Score‑Zahl 180 in die Höhe gereckt. Es ist die höchste Punktzahl, die man mit den drei Pfeilen einer Runde werfen kann. Um das zu schaffen, braucht es hartes Training und mentale Stärke. Und das ist es, was den Sport ultimativ aufwertet: das Image einer anspruchsvollen Mentalsportart, vorgetragen auf einer Weltbühne.

Dann setzt einer der Spieler an zum Match Dart. Es ertönt ein letztes Mal das dumpfe Geräusch. Der Pfeil steckt im Doppel. Feuerwerk. Konfettiregen. Jubel. Glückwunsch an den Sieger.

Schaut man ein Turnier in seiner heutigen modernen Form an, bleibt trotz allen Trubels vor allem ein Eindruck bestehen: Dass Darts kein künstlich verordnetes Spektakel ist. Sondern eine Sportart, die ihre Wurzeln schätzt und aus ihnen eine authentische und professionelle Vermarktungsstrategie entwickelt hat. So gehen eine mitreißende, seriöse Außenwirkung Hand in Hand mit der Feierlaune kostümierter Fans und ihren stimmungsvollen Liedern. Zum Ende des Abends ertönt ein letztes Mal der Gesang im Chor der Massen: „Please don`t take me home“. Doch alles hat einmal ein Ende. Aber nur bis es erneut heißt: „Game on.“ Und die Show wieder von vorn beginnt.

Quellen: www.abendblatt.de, www.spox.com, www.mydartpfeil.com

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