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Vom Horst zum Vollhorst

Es gibt Namen, die können einfach mehr als andere. Zum Beispiel beleidigen. Aber woher bekommen sie ihren Schimpfwortcharakter?

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– K-TEILCHEN –
20.01.2021
Vom Horst zum Vollhorst
Es gibt Namen, die können einfach mehr als andere. Zum Beispiel beleidigen. Aber woher bekommen sie ihren Schimpfwortcharakter?

Wenn der Name zum Schimpfwort wird
In unserem täglichen Sprachgebrauch sorgen wir immer wieder dafür, dass manche Namen eine zusätzliche Bedeutung erhalten. Die kann an den Kontext ihrer Zeit gebunden, durch die Verwendung des Namens geprägt oder von Prototypen inspiriert sein. Oft geschieht das mit Namen, die modebedingt weit verbreitet sind. Sie werden dann manchmal spielerisch, witzelnd, oftmals spöttisch angewendet und entwickeln sich zu Synonymen für bestimmte Stereotype. Wer kennt ihn nicht, den „Heini“ (Kurzform von Heinrich). Und auch bei Hinz und Kunz oder beim Lieschen Müller schwingen ganz besondere (herablassende) Töne mit.

Mach dich nicht zum Vollhorst
Besonders schön lässt sich die Entwicklung einer solchen neuen Bedeutung im letzten Jahrzehnt am Namen „Horst“ beobachten. 1934 der Hit als Name für Neugeborene (wohl aus der damaligen Heroisierung Horst Wessels heraus), und auch noch in den Jahrzehnten danach sehr beliebt, schaffte es Horst 2020 in Deutschland nicht mal unter die Top 500 Babynamen. Zum einen einfach durch seine Häufigkeit unter mittelalten bis zu sehr alten Männern – zum anderen aber auch wegen seiner Verwendung als Schimpfwort. „Horst“ – oder in gesteigerter Form der „Vollhorst“ – ist mittlerweile gleichbedeutend mit „(Voll)Idiot“. Und zu selbigem möchten die meisten weder ihr Kind noch sich selbst machen.

Der amerikanische Horst heißt Karen
In den USA hat die „Karen“ eine ähnliche Karriere hingelegt. Auch sie war so breit vertreten in einer heute mittelalten Generation von Frauen, dass sie zu einer Art Sammelbegriff und dank Social Media auch zum Meme wurde. Und das vergleichsweise schnell. Warum es gerade die Karen traf, lässt sich nicht genau festlegen. Manche vermuten als Kick-off einen Reddit-Benutzer, dessen regelmäßige Beschwerden über seine Exfrau Karen sich großer Beliebtheit erfreuten. Andere sehen den Ursprung in dem Sketch eines Comedians über die eine Person im Freundeskreis, die eigentlich niemand wirklich mag: Karen.

Entscheidend aber war, dass der Stereotyp aufgegriffen, oft wiederholt und so letztlich zur sprachlichen Konvention wurde. So steht Karen mittlerweile für eine mittelalte, weiße Frau, die wegen Kleinigkeiten in Wutausbrüche verfällt und regelmäßig nach der Geschäftsleitung verlangt. Im Prinzip macht sich eine Karen also zum Vollhorst. Und drückt so die Beliebtheit ihres Namens dramatisch in den Keller.

The circle of life
Wer tatsächlich Karen heißt, oder Horst, oder Heinz, kann sich gegen solche Trends leider kaum wehren. Schlimmstenfalls könnte das Aufbegehren einer Karen gegen die Verwendung ihres Namens als Schimpfwort sogar noch als typisches Karen-Verhalten gedeutet werden. Den Karens und Horsts unserer Zeit bleibt eigentlich nicht viel übrig, als zu versuchen, es nicht persönlich zu nehmen.

Denn Erlösung kommt wahrscheinlich zu spät. Vielleicht erst, wenn die Namen (nahezu) ausgestorben sind. Durch ihre aktuelle Verwendung als Schimpfwort unterliegen sie allerdings noch schneller als andere Namen dem zyklischen Lauf der Namenstrends: Sowohl die Karen als auch der Horst waren zuerst beliebt, dann aber so häufig, dass man ihrer überdrüssig wurde, und irgendwann wird dann keiner mehr so heißen. Sie verschwinden nach und nach von der Bildfläche. Aber so gerät mit den Namen auch ihre Verunglimpfung in Vergessenheit. Und wer weiß, vielleicht werden sie in ein paar Jahren (oder Jahrzehnten) wiederentdeckt? Nach dem Motto „Der Horst muss sterben, damit er leben kann.“

Spannend bleibt unsere eigene Rolle in diesem Spiel: Dadurch, wie und in welchen Kontexten wir Begriffe (oder eben Namen) anwenden, formen und prägen wir ihre Bedeutung. Ob wir es wollen oder nicht. Denn Sprache ist lebendig: Im Sprachdschungel wächst Neues aus Altem, da sterben Begriffe oder Bedeutungen aus und neue entstehen. Wir als Teil des Ökosystems Sprache bestimmen mit, ob der Horst, die Karen oder der Kevin aufblühen oder aussterben.

Quellen: srf.ch, welt.de, beliebte-vornamen.de

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