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Formvollendet unterwegs

Form follows function? Wir glauben, Formen sprechen und haben ihr eigenes Leben! Was das mit dir und deinem Auto zu tun hat, erfährst du hier.

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– K-Teilchen –
18.06.2020
Formvollendet unterwegs
Form follows function? Wir glauben, Formen sprechen und haben ihr eigenes Leben! Was das mit dir und deinem Auto zu tun hat, erfährst du hier.

K.I.T.T und du, zusammen im Kampf gegen das Unrecht.

Ein sprechendes Auto wie in der TV-Serie „Knight Rider“ wünschen sich wohl so einige. In dieser Form ist das – zumindest aktuell – eher Science-Fiction als Realität.

Allerdings: Autos sprechen tatsächlich! Und damit meinen wir nicht die hörbare Autostimme, wie sanftes Motorbrummen, extra komponierte Tür-Schließ-Geräusche oder intelligente Sprachassistenten. Es geht um die visuelle Sprache. Um die Kommunikation durch Form und Design. Denn diese transportieren nonverbale Botschaften, die wir mehr oder weniger bewusst wahrnehmen – und auf die wir reagieren.

Du fühlst, was du siehst

Die biologischen Hintergründe dafür liegen wohl in der Art, wie das menschliche Gehirn visuelle Reize verarbeitet: Hier arbeiten – etwas rudimentär erklärt – spezialisierte Zellen, die unmittelbar auf runde Formen, rechte Winkel oder auch komplexere Formen reagieren. Diese Hirnareale sind wiederum mit fast allen anderen Gehirnregionen verknüpft, zum Beispiel mit solchen für Muskelbewegungen, Denkprozesse, aber auch für Gefühle und Motivation. Über das Nervensystem kommunizieren sie dann schließlich mit dem ganzen Körper.*

Visuelle Wahrnehmung ist also ein Prozess, an dem der ganze Mensch beteiligt ist. Das erklärt, warum unterschiedliche Formen unterschiedliche Bedeutung beziehungsweise Wirkung auf Menschen haben. Bei der Dechiffrierung von Formsprache sucht der Mensch zudem stets nach bekannten Mustern, die oft auf Archaisches zurückzuführen sind, wie natürliche oder menschliche Formen, Gesichter, aber auch Tiere. Wer hat zum Beispiel nicht schon einmal menschliche Fratzen oder tierische Abbilder in den Wolken am Himmel erkennen können?

Das Auto als Abbild der eigenen Wunsch-Wirkung

Wie sich Designer diese Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen zunutze machen, lässt sich hervorragend an des Deutschen liebstem Kind beobachten: dem Auto und dessen Design.

Für so manchen ist das Auto nicht nur Mittel zur Fortbewegung. Es ist Statement, Selbstausdruck. Oder anders gesagt – und in Anlehnung an Gottfried Keller: Autos machen Leute. Aus unserer Sicht tun sie das sogar noch stärker als Kleider, denn Kleider verstärken nur unseren Selbstausdruck. Setzt du dich dagegen in ein Auto, bist du beinahe nicht mehr sichtbar: Du wirst sozusagen zu deinem Auto. Markante Erscheinung inklusive.

Eine Form der Dominanz

Den Wunsch nach einem wirkungsvollen Auftritt bedienen Auto-Designer ganz gezielt – und mit klaren Tendenzen. Raubtierisches, sexy Kurven, sportliche Eleganz und Aggressivität: Formen, die diese Botschaften übermitteln, sind in Deutschland sehr beliebt. Alles, was Stärke, Geschwindigkeit und Dominanz verspricht und hilft, das Spiel gegen die Straße, die Zeit oder gar die anderen Verkehrsteilnehmer zu gewinnen. Mittlerweile setzt sich das auch bei Kleinstwagen und Familienkutschen durch – sogar aus dem traditionell seriösen Golf wird immer mehr der böse Golf.

Der Design-Professor Paolo Tumminelli hat einige Merkmale herausgearbeitet, die dabei von großer Bedeutung sind: körperähnliche Formen und Attribute, Scheinwerfer, die an böse Augen erinnern oder denen von Raubkatzen nachempfunden sind, ein Kühlergrill, der auch ein Gebiss aus Stahl sein könnte, oder eine ganze Autofront, die an eine Sturmhaube erinnert. Klar, niemand legt sich mit einem grimmigen Hai oder einem Panzer an.

Solche archaischen Formen haben Signalwirkung auf uns – und Farben wie Schwarz, Grau, Stahl unterstützen den Gesamteindruck. Das weckt Emotionen in uns – Stärke und Überlegenheit zum Beispiel. Und es soll Emotionen bei anderen auslösen: zum Beispiel das Gefühl, sich unterordnen oder besonders vorsichtig sein zu müssen im Angesicht eines dunklen, finster dreinblickenden Wagens im Rückspiegel.

Die Form der Zukunft

Der Trend zum dominanten Autodesign ist aktuell ungebrochen – selbst beim Vormarsch der E-Autos, wie der Audi e-tron oder der Ford Mustang Mach-E zeigen. Auch wenn man sich im Zeichen von Energieeffizienz und gewünschten hohen Wirkungsgraden eine rundere, aerodynamischere Formsprache vorstellen könnte. Aber schon in der Vergangenheit waren Vorstöße in diese Richtung selten – und offensichtlich nicht für den Massengeschmack tauglich, wie zum Beispiel bei den runden Designs des Visionärs Luigi Colani.

Künftig könnte sich aber das Aussehen von Autos wandeln, meint der Pforzheimer Designprofessor Lutz Fügener – und zwar im Zusammenhang mit der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen. Dann könnten sanftere Formen beliebter werden. Denn ein fahrerloses Auto im bedrohlichen Raubtierlook ist zum einen so unheimlich wie ein bösartiger Roboter in einem Sci-Fi-Thriller, und zum anderen wenig sinnvoll: Autonome Fahrzeuge werden sich wohl kaum um Dominanz und Hierarchien im Straßenverkehr scheren, sondern eher um einen reibungslosen und effizienten Verkehrsfluss.

Man kann also für die Zukunft gespannt sein, wie die nächste Runde im Kampf Auto als Statement vs. funktionales Autodesign ausgeht. Und wie formvollendet wir in einem kommenden Zeitalter mit neuer Mobilität unterwegs sein werden.

* Monika Heimann und Michael Schütz in: Wie Design wirkt – Psychologische Prinzipien erfolgreicher Gestaltung.



Quellen: statista.com; spiegel.de; auto-motor-sport.de; autobild.de

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